Warum Anke Domscheit-Berg eine gute Politikerin ist, ich ihre Bewerbung für Listenplatz 1 aber nicht unterstütze
Ankes große Stärken sind ihre Bereitschaft, sich öffentlichkeitswirksam zu präsentieren und überzeugend ihre Positionen darzulegen. Mir ist innerhalb der Brandenburger Piraten niemand bekannt, der hierbei erfolgreich mit ihr konkurrieren könnte.
Zudem sind ihre konkreten politischen Haltungen, soweit ich sie kenne, unterstützenswert, und ich halte Anke für eine Frau mit Weitblick, und sie vermittelt Zuversicht - was bei komplizierten Materien nicht selbstverständlich ist.
Anke sieht, wie sie mehrfach betont hat, ihre persönlichen politischen Ziele als derzeit völlig deckungsgleich mit denen der Piratenpartei. Hier läßt sich die Frage stellen, ob das Profil der Piraten, sei es auf Bundes- oder Landesebene, zu unscharf ist, oder ob eine Auseinandersetzung im Detail wirklich stattgefunden hat. Nichtsdestotrotz halte ich ihre Darstellung für glaubhaft, auch während des Kandidatengrillens haben sich keine Probleme in dieser Hinsicht gezeigt.
Anke ist sicherlich hervorragend dazu geeignet, in der nach wie vor durch "BILD, BamS und Glotze" geprägten Medienöffentlichkeit der 2. industriellen Revolution themenspezifisch die Piraten zu vertreten - insbesondere in Feldern, die ich für zentral und wichtig halte, wie Energie- und Friedenspolitik und sozialer und ökologischer Ausgleich.
Insofern habe ich kein Problem damit, die Piratenpartei zu wählen, sollte Anke als Spitzenkandidatin in Brandenburg auftreten. Auch als unabhängige Kandidatin wäre sie für mich wählbar.
Schwieriger sehe ich schon in ihrer gelebte politische Tätigkeit. Anke unterhält ein großes Netzwerk an Kontakten, das m.E. einige Personen in einflußreichen Positionen umfaßt. Sie ist insofern, wenn auch oppositionell, Teil der "politischen Kaste", deren Handlungen den Regierten immer weniger vermittelbar wird - bei zunehmenden Partizipationsansprüchen zumindest eines Teiles der Bürger.
Anke weiß, was sie will. Für sie trifft es sich gut, daß sich mit den Piraten in Deutschland eine neue Partei des aufgeklärten Mainstreams gebildet hat, die Personen umfaßt, die -oft aus persönlicher Verzweiflung an den Zuständen heraus- hoffen, doch noch politisch etwas ändern zu können. Dies ist auch eine Reaktion auf die Machtorientierung -und damit Selbeinbindung in das bestehende System- der Grünen, die auch mal basisdemokratisch angetreten waren. Dieser neuen Partei meint sie ein präsentables Gesicht geben zu können.
Jedoch habe ich den Eindruck, daß Anke wenig in die Erarbeitung politischer Positionen bei den Brandenburger Piraten eingebunden ist - außer einer Erwähnung im Protokoll der AG TDBD vom 9. Oktober habe ich sie zumindest nicht gefunden (sie sprach ihre Mitarbeit in der AG TDBD bei der Einzelbefragung am 18. Oktober an).
Hieraus ergibt sich meine Einschätzung, daß Anke und die Brandenburger Piraten gerade zufällig "gut zueinander passen" bzw. sich ergänzen.
Dieser Zustand kann sich -und wird sich- bei einer unabhängigen Entwicklung, wie sie mit Ankes Einzug in den Bundestag abzusehen ist, ändern. Dann ergeben sich zwei Perspektiven: Das Auseinanderleben, sei es im Streit oder durch gegenseitige Ignoranz, oder der Versuch, Positionen möglichst deckungsgleich zu halten. Im ersteren Fall verliert die Basis der Brandenburger Piraten den geringen Einfluß, den sie im Bundestag haben können.
Falls versucht wird, Positionen möglichst deckungsgleich zu halten, fürchte ich, daß dies die personell schwach besetzte Brandenburger Piraten überfordert und die Partei zerreißt. Es wird sich -analog zu den Grünen, nachdem sie erfolgreich eigenes Personal in Parlamenten untergebracht haben- ein realpolitisches Lager bilden, das den Fokus auf die Wählbarkeit legt, und ein Lager, das versucht "piratische Werte" hochzuhalten.
Zu diesen piratischen Werten zähle ich unbedingt Partizipation. Dies heißt für mich u.a. Meinungsfindung und -abstimmung aus der Basis heraus. Dies wird m.E. mit Anke als unser Anker im Bundestag schwer möglich bleiben - dazu ist sie als Persönlichkeit zu unabhängig. Ich befürchte deshalb, daß das Entsenden von geborenen "politischen Führungspersönlichkeit", wie sie die derzeitige veröffentlichte Meinung promotet, uns vielleicht noch bis zu den Wahlen 2014 eher nützt, langfristig aber die Piratenpartei in eine Richtung umgestaltet, die sie -zumindest für mich- uninteressant machen.
Da ich befürchte, daß Ankes Wahl zu einer unerwünschten Veränderung der Brandenburger Piratenpartei führen wird, werde ich sie auf der Aufstellungsversammlung für Platz 1 nicht wählen. Ich befürworte stattdessen die Wahl eines Kandidaten, der durch langjährige aktive Beteiligung seine Verankerung in der Partei gezeigt hat.
Nachbemerkung: Ich kann es gut verstehen, wenn die Forderung der fortgesetzten Verankerung innerhalb der "provinziellen" Basis der Brandenburger Piraten als Zumutung empfunden wird. Mir geht es keineswegs darum, jemanden persönlich zu diskreditieren, dessen Fähigkeiten ich sehe. Meine Überlegungen beziehen sich auf die mögliche Entwicklung einer Partei, die ich als soziales Experiment ansehe, und die ich gerne weiter mitgestalten möchte.
Thomas Langen, 19. Oktober 2012