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Positionspapier Jungendschutz und Jugendmedienschutzstaatsvertrag
Dies ist ein Positionspapier zum Jugendschutz und JMStV beschlossen vom Landesvorstand des Landesverbandes Brandenburg der Piratenpartei nachfolgend als wir bezeichnet.
Kritik an den bestehenden Regelungen des Jugendschutzes
Der Text unter diesem Punkt basiert auf einem Positionspapier der Jungen Piraten (CC-BY-SA)
Der Jugendschutz ist in Deutschland unserer Meinung nach im Allgemeinen zu streng geregelt und überbürokratisiert. Wir sehen, dass die Regeln dermaßen unpraktisch sind, dass sie sogar von verantwortungsbewussten Eltern regelmäßig ignoriert werden. Da zu strenge Regeln, welche nicht ernst genommen werden, für fehlendes (Un-)rechtsbewusstein sorgen, sind wir für eine komplette Reform des Jugendschutzes in Deutschland.
Evaluation bestehender Regelungen, Forderung wissenschaftlicher Grundlagen
Für uns ist es inakzeptabel, dass Verbote oder Einschränkungen von medialen Inhalten – insbesondere von Videospielen – häufig mit, wenn nicht fragwürdiger, zumindest widersprüchlicher wissenschaftliche Grundlage gefordert oder verordnet werden. Viele der von anderen Politikern zitierten Studien zum Thema “gewalthaltige Medien” widersprechen einander oder entsprechen nicht den Kriterien wissenschaftlicher Arbeit. Eindeutige Ergebnisse lassen sich daraus bisher nicht ableiten.
Wir setzen uns deshalb dafür ein, bestehende Regelungen zu überprüfen, mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen – sofern vorhanden – abzugleichen, neu zu evaluieren und gegebenenfalls entsprechende Konsequenzen, beispielsweise auch die Abschaffung dieser Regelungen, zu ziehen. Zu diesem Zweck ist auch weitere Forschung auf den entsprechenden Gebieten notwendig.
Abschaffung BPjM
Etwaiger Jugendschutz soll, wie der Name schon sagt, ausschließlich für Minderjährige gelten. Dies sehen wir in der aktuellen Gesetzeslage in Bezug auf Medien nicht gegeben – auch Volljährige werden durch die rigorosen Jugendschutzbestimmungen eingeschränkt, da einerseits oft freiwillige Inhaltseinschränkungen auf Seiten der Hersteller betrieben, sowie die Beschaffung entsprechender Medien andererseits erheblich erschwert wird.
Hinzu kommt, dass die Zusammensetzung dieser Gremien nicht transparent ist und ihre Entscheidungen häufig sehr unbegründet wirken. Mangelnde Transparenz sorgt in der heutigen Zeit für Unverständnis und Distanz. Gerade beim staatlichen Eingriff in die Meinungsfreiheit wie beim Jugendschutz ist dies nicht tolerierbar. Da es in Deutschland Prüfungsinstitutionen auf dem Gebiet der Filmwirtschaft FSK und im den der Unterhaltungssoftware USK gibt, schlagen wir zunächst eine Abschaffung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) und den daraus resultierenden Konsequenzen der Indizierung von Medien welche derzeit faktisch einem Vertriebsverbot gleichkommen. In jedem Fall sollte jedoch die personelle Zusammensetzung überdacht und abgeändert werden.
Alterseinstufungen nicht bindend
Jeder Mensch entwickelt sich anders und in einem für ihn selbst eigenen Tempo. Die eigene Reife zu beurteilen, vermögen, wenn überhaupt, nur Nahestehende oder auch die Person selbst. Der Staat hingegen setzt den Reifegrad eines Heranwachsenden und somit dessen Eignung für bestimmte Inhalte mit seinem Alter gleich.
Diese Regelung ist unzureichend, da sie die individuelle Entwicklung der Jugendlichen völlig ausklammert und ihnen somit niemals gerecht werden kann. Da für die Erziehung nach wie vor die jeweils Erziehungsberechtigten verantwortlich sind, sollten Altersfreigaben keinesfalls bindend sein, was gegenwärtig noch immer der Fall ist. Verbindliche Alterskennzeichnungen sind Einmischungen in private Erziehungsangelegenheiten, die dem Individuum auf diesem Wege bestimmte Ideale und Wertevorstellungen aufdrängt. Dieses Mittel ist daher vom Staat mit extremem Bedacht und nur bei gut und ausreichenden begründeten Ausnahmen anzuwenden.
Altersfreigaben sollten lediglich eine Hilfestellung für die Erziehungsberechtigten bei der Beurteilung bestimmter Inhalte darstellen und sie nicht von ihrem Erziehungsauftrag entbinden. (Bestehende Regelungen anderer Länder – bspw. Belgien, Dänemark, Luxemburg, Norwegen, Schweden, Österreich, Schweiz, USA etc. – zeigen, dass dieses Konzept durchaus funktionieren kann.)
PEGI statt USK
Im Großteil der Europäischen Union hat sich mittlerweile das PEGI-System zur Alterseinstufung von Videospielen etabliert. Lediglich Deutschland unterhält zusätzlich noch ein eigenes Kontrollgremium. Dies stellt sowohl für die Konsumenten, also im Prinzip alle Bürger, als auch Entwickler und Händler aufgrund erschwerter Verkaufsbedingungen (Festlegung auf bestimmte Vertriebswege, Ausweiskontrolle bei Postsendungen, Post- Ident-Verfahren etc.) vermeidliche Hürden dar. Dieses erachten wir als unnötig und fordern daher, nach Abschaffung der BPjM, die USK abzuschaffen und das europäische System zu übernehmen.
Videospiele sind als Kunst anzuerkennen
Aufgrund der kürzlich erfolgten Anerkennung von Videospielen als Kulturgut fordern wir, dies endlich auch in der Praxis anzuwenden und gesetzliche Ausnahmen wie beispielsweise die Kunstfreiheit auch auf Video- und Computerspiele auszuweiten, die einen künstlerischen Anspruch haben. Dies schützt diese neue Kunstform vor zu starken staatlichen Repressalien wie zum Beispiel eine allzu schnelle Indizierung.
Kritik am JMStV-E (Neuregelung 2011)
Grundlegendes
Die von den Staatsregierungen beschlossene Verschärfung des JMStV überträgt die falschen Mittel des Deutschen Jugendschutzes in ungeeigneter Weise auf das Medium Internet.
Wir sehen den Regelungen im aktuellen JMStV daher mit großer Besorgnis entgegen. Sie sind qualifiziert dafür, die Senderfreiheit - die Freiheit jedes Einzelnen zum Sender zu werden - im Internet durch den Aufbau von Hürden zu beschränken, womit tendenziell im Internet Sendemonopole wie in den analogen Medien entstehen, da es sich Betreiber von kleinen Seiten nur schwerer leisten können, sich an die geforderten Standards zu halten.
Das Internet lebt aber von seiner extremen Dynamik, welche auch in der Senderfreiheit begründet liegt. Deutschland droht durch diese Neuregelungen des JMStV noch stärker den Anschluss in der digitalen Welt zu verlieren.
Verpflichtung der Webseitenbetreiber
Insbesondere kritisieren wir die Regelungen im § 5 Abs. 1 JMStV-E, da sie für das Internet schlicht ungeeignet sind. Das Internet ist kein Rundfunk im üblichen Sinn, da die Beschränkung der Sendekanäle fehlt. Die Regelungen aus § 5 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 5 JMStV-E sind auch nicht, wie öfter behauptet, "freiwillig", sondern bedeuten, dass jede Webseite - und damit jeder noch so kleine private Blog - entweder eine Altersverifikation einbinden muss, den Blog nur zu gewissen Uhrzeiten zugänglich machen darf oder den Blog mit einer passenden Alterskennzeichnung versehen muss.
Zwar ist die Überprüfung der Alterskennzeichnung durch eine anerkannte Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle im Gesetz eine Kann-Bestimmung, aber sie ist dabei so schwammig formuliert, dass wir die Gefahr sehen, dass bald daraus durch Rechtsprechung eine Muss-Bestimmung wird. Dies gefährdet kleine gewerbliche Seiten und Millionen von privaten Webseiten und Blogs im Internet.
Schwacher "Haftungsausschluss" für Usercontent
Die angebliche und extrem notwendige Ausnahme für Inhalte die von "Nutzern" der Seite erstellt wurde - zum Beispiel Kommentare in einem Blog - ist nicht wirklich vorhanden. So wird im § 5 Abs. 3 JMStV-E diese Ausnahme nur zugebilligt, wenn der Webseitenbetreiber einem Verhaltenskodex einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle unterwirft. Dieser kann im Detail dann allerdings das Überprüfen jedes einzelnen Inhalts fordern. Die Ausnahme wird später wahrscheinlich einfach keine mehr sein.
Hoher Aufwand für die Kennzeichnung
§ 11 JMStV-E verlangt von Webseitenbetreibern, dass die Webseiten so programmiert - gemeint ist wohl gekennzeichnet - werden, dass ein geeignetes Jugendschutzprogramm diese Kennzeichnung versteht. Wie diese Kennzeichnung im Detail aussehen soll, legen nach § 12 JMStV-E die anerkannten Einrichtungen der Freiwilligen Selbstkontrolle, die KJM, die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das ZDF und das Deutschlandradio im Benehmen mit den obersten Landesjugendbehörden fest.
Da das Gesetz keinerlei Vorgaben macht, befürchten wir, dass der Standard nicht so gesetzt wird, dass er einfach, leicht und kostengünstig umzusetzen ist. Viel mehr erwarten wir bei diesen Beteiligten, dass der Standard komplexe Merkmale beinhalten wird, die der "Sicherheit" und der "Verifikation" dienen sollen. Schließlich dient dies durchaus dem Eigeninteresse der Anstalten - weniger Konkurrenz im Internet. Ebenfalls auffallend ist, dass keine Behörde oder Stelle involviert ist, die über entsprechende technische Kompetenz verfügt, wie zum Beispiel das BSI.
Alternativen
Wir halten das aktuelle System für aufwendig, ungeeignet und wirkungslos. Die Änderungen durch den JMStV verschärfen die Situation noch. Die Selbstkennzeichnung der Anbieter ist extrem aufwendig und wird die vorhandenen Angebote im deutschsprachigen Teil des Internets einschränken.
Einsatz von Whitelists
Dabei hilft das System nur dann, wenn die Eltern selbst dieses auch wirklich einsetzen. Diejenigen Eltern, die ihren Erziehungsauftrag allerdings ernst nehmen, könnten dies auch mit Whitelists erreichen. Dort müssten die gewünschten Webseiten einzeln freigeschaltet werden, wobei Basis- und Beispiellisten unter anderem von gemeinnützigen Vereinen mit staatlicher Förderung erstellt werden könnten. So ein System wäre weitaus kostengünstiger und effektiver. Zudem würde es das gesamte World Wide Web erfassen und nicht nur den Teil, der dem JMStV unterliegt.
Des Weiteren führen Whitelists zu Diskussionen zwischen Erziehungsberechtigten und Schutzbedürftigen, da die Freischaltung weiterer Seiten erbeten werden muss. Dies kann dazu genutzt werden, mit dem Kind über den Inhalt und den Grund des Freischaltungswunsches der Seite zu sprechen. Solche Unterhaltungen können die Medienkompetenz sowohl der Erziehungsberechtigten als auch der Kinder stärken.
Erziehungshilfeleistungen anbieten
Wir gehen davon aus, dass verantwortungsbewusste Eltern bereits jetzt den Zugang zum Internet von Schutzbedürftigen geeignet überwachen oder dazu bereit wären, wenn sie entsprechende Hilfe bekommen würden. Eine Hilfe bei der sinnvollen Umsetzung wird durch den JMStV aber nicht gewährleistet. Es ist unserer Meinung nach weitaus sinnvoller, das Geld, das in diese Placebo-Politik fließt, in effektive Hilfe für lernbereite Eltern fließen zu lassen.
Dass es Erziehungsberechtigte gibt, die Ihren Pflichten nicht nachkommen, ist uns bewusst. Hier helfen allerdings auch nicht die Regelungen, die im Staatsvertrag vorhanden sind. Es ist davon auszugehen, dass vernachlässigte Kinder im Zugang zum Internet nicht eingeschränkt werden. Dieses Verhalten von den Erziehungsberechtigten ist natürlich falsch. Allerdings sollte hier genauso eingegriffen werden wie bei anderen Vernachlässigungen. Hier würde der Einsatz medienkompetenter Ansprechpartner genauso helfen wie es in anderen Fällen durch die sozialpädagogische Familienhilfe und das Jugendamt geschieht.
Medienkompetenz der Helfer stärken
Ein großes Problem ist, dass im Jugendamt beziehungsweise in der beauftragten sozialpädagogischen Familienhilfe derzeit nur geringfügige Internetkompetenz vorhanden ist. Die Stellen sind schlicht nicht in der Lage den oft nur überforderten Eltern zu helfen. Hier gilt es anzusetzen und Jugendhelfer passend weiterzubilden beziehungsweise entsprechende Schulungsnachweise von den vom Staat beauftragten Einrichtungen zu fordern.
Schlussworte
Der Schutz der Jugend ist in der heutigen Zeit ein wichtiges Thema. Es ist auf jeden Fall zu wichtig um es in der Symbolpolitik, welche seit Jahren praktiziert wird, schleifen zu lassen. Wir brauchen einen effektiveren Jugendschutz, der nur über die Eltern möglich ist. Diese brauchen dafür fachlich qualifizierte Hilfe, anstelle von Einschränkungen durch überregulierte Gesetze, die die Erziehungsberechtigten unnötig einschränken und überfordern.
Die Geldmittel, die für diese Überregulierung aufgewendet werden, könnten richtig eingesetzt viel Gutes bewirken, zum Beispiel in der Vermittlung von Medienkompetenz oder als wirkliche Hilfestellung in der Abwendung von Entwicklungsgefahren für die Kinder dienen.
Wir fordern daher alle Fraktionen in den Landtagen auf, den JMStV-E nicht zu ratifizieren, da er, im Gegensatz zu clientseitigen Whitelists, unwirksam ist und den Jugendschutz nicht verbessert, sondern nur die durch das Internet gewonnene Publikationsfreiheit des Einzelnen einschränkt. Stattdessen sollte die Politik endlich beginnen Maßnahmen für einen effizienten, modernen und hilfreichen Jugendschutz einzuleiten.