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Vorstand/Anfragen/Nr-00017

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ACHTUNG: Diese Seite dient der Beantwortung der Frage durch den Vorstand. Kommentare und Antworten anderer User werden bitte auf der Diskussionsseite hinterlegt oder vorher mit dem Vorstand abgesprochen.


Thema: Causa HoloGate
Name: RicoB CB
Status: erledigt

Frage

Der Landesvorstand des Landesverbandes Brandenburg der Piratenpartei Deutschland möge eine von der Mehrheit des Landesvorstandes, das heißt von mindestens vier Mitgliedern, getragene Stellungnahme zur Causa „HoloGate“ verfassen und veröffentlichen. Die Mitglieder des Landesvorstandes, die diese Stellungnahme unterstützen, sollen sie namentlich unterzeichnen.

Zu den Hintergründen: Am Dienstag, dem 24.05.2011, entwickelte sich eine „Twitter-Diskussion“ zwischen dem Beisitzer Sebastian Pochert (@pirat_SP_P) und dem Benutzer forschungstorte, die ihren Ursprung in einem Anti-Tierversuchs-Video fand. In deren Verlauf veröffentliche Sebastian Pochert, Beisitzer im Landesvorstand, den Tweet „Natürlich ist es ein Verbrechen, 6 Millionen Juden zu töten. Aber im Vergleich zu 56 Milliarden ermordeten Tieren pro Jahr?“ (Quelle).

Diese Relativierung des Holocaust (Causa „HoloGate“) löste bei vielen Twitter-Benutzern und in Blogs Empörung aus und stellt den Landesvorstand des Landesverbandes Brandenburg, und nicht zuletzt auch den Landesverband selbst, in ein negatives Licht. Der Landesvorstand des Landesverbandes Brandenburg der Piratenpartei Deutschland soll daher in einer Stellungnahme ihre Sicht der Dinge klarstellen und den Beisitzer Sebastian Pochert gegebenenfalls – so fern er nur falsch verstanden wurde – um eine Korrektur bitten. Vielen Dank --RicoB CB 09:27, 25. Mai 2011 (CEST)

Antwort

persönliche Stellungnahme von Sebastian

"Werte Piraten,

am Dienstag, 24. Mai 2011, kam es zu der unter dem Namen "Hologate" bekannt gewordenen Affäre.

Im Rahmen einer Diskussion über den Tierschutzverein PETA, den (genauer PETA Deutschland e.V.) ich überwiegend finanziell und im Rahmen meiner Möglichkeiten auch durch Aktionismus unterstütze, wurde eingeworfen, dass PETA Holocaustrelativierer seien – eine Meinung, die ich nicht teile.

Daraufhin wurde Gegenstand der Diskussion, was ein Holocaust überhaupt sei, beziehungsweise welcher Holocaust gemeint sei.

Eine der beiden Personen, mit denen ich über Twitter schrieb, war der Meinung, es hätte nur [sic] einen Holocaust gegeben.

Der Begriff Holocaust wird spätestens seit dem Völkermord an den Armeniern am Anfang des 20. Jahrhunderts für ethnische Vernichtungen in Dimensionen eines Völkermordes verwendet. Häufig wird der Begriff synonym zum Begriff "Massenvernichtung", der massenweisen Vernichtung (i.A. menschlichen) Lebens, genutzt. So verwende auch ich den Begriff.

Das Wort leitet sich vom griechischen ὁλόκαυστον (gespr. Holókauston) ab und diente interessanterweise unter anderem in der Septuaginta, der ältesten durchgehenden Übersetzung des Tanach (die hebräische Bibel) als Begriff für Tieropfer. Im Deutschen bedeutet der Begriff so viel wie "vollständig verbrannt".

Ich fragte also, welcher Holocaust gemeint sei. PETA zog 2003 in der Kampagne „Holocaust on Your Plate“ Parallelen zwischen einer Begebenheit und einem Geschehen: Auf der einen Seite steht "der" Holocaust, der Ermordung von etwa 6 Millionen Menschen, insbesondere derer, die von Nationalsozialisten als Juden definiert wurden. Auf der anderen Seite steht die massenweise Tötung von Tieren zur Nahrungsproduktion. Nach der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO) werden für die Produktion von Fleisch, Eier und Milch 56 Milliarden Tiere pro Jahr (Zahlen von 2007) geschlachtet. Die Tötung von Fischen, Spinnen, Krustentieren, Insekten zum Zweck des Verzehrs oder zur Produktion von Lebensmittelfarbstoffen, wie Karminsäure; sowie die Tötung verschiedenster Tiere zur Produktion von Kleidung (z.B. Leder, Seide), zum Vergnügen sind keineswegs mitgerechnet.

In Hinblick auf die Äußerung, PETA seien Holocaustleugner, verfasste ich dann den bekannt gewordenen Tweet: „@korbinian Natürlich ist es ein Verbrechen, 6 Millionen Juden zu töten. Aber im Vergleich zu 56 Milliarden ermordeten Tieren pro Jahr?“

Der Tweet kann unter anderem hier gesehen werden: http://twitpic.com/51xtos/full

Als „Hologate“ wird die in den Augen mehrerer Personen von mir vermeintliche vorgenommene Holocaustrelativierung bezeichnet.

An diesem Tweet habe ich im Nachhinein selbst zwei Sachen auszusetzen:

1. Ich hätte nicht Juden schreiben sollen, denn es wurden bekanntermaßen nicht nur Menschen jüdischen Glaubens ermordet. Da größtenteils Menschen getötet worden sind, die vom nationalsozialistischen Regime als Juden definiert wurden, könnte meine Aussage so aussehen, als würde ich mich wissentlich des nationalsozialistischen Sprachgebrauchs bedienen, was aber definitiv ungewollt ist. Das Leben eines Menschen jüdischen Glaubens ist in meinen Augen ebenso viel Wert wie das Leben eines Menschen anderen Glaubens oder auch ohne Glauben. Es versteht sich von selbst, dass auch Menschen unterschiedlicher Staatsangehörigkeiten, Geschlechter, sexueller Orientierungen etc. für mich keinen Unterschied im Wert bedeuten.

2. Auf der Hauptmailingliste des Landesverbands wurde dargelegt, dass ich im Zusammenhang mit „Juden“ das Wort „töten“ verwende, im Zusammenhang mit „Tieren“ hingegen „ermordet“. Letzteres kann aufgrund der Wortwahl so aufgefasst werden, dass ich das Töten eines Tieres als grausamer oder abscheulicher im Vergleich zum Töten eines Menschen empfinde, was jedoch nicht der Fall ist. Mord ist in meinem Sprachgebrauch ein Wort, dass man – im Gegensatz zu Definitionen in Wörter- oder Gesetzbüchern – sowohl auf Menschen als auch auf Tiere anwenden kann. Dieser Sprachgebrauch ist unter Tierschützern sehr weit verbreitet.

Beide Fehler tun mir leid.

Ich kann nicht erkennen, dass ich den Holocaust relativiere. Es liegt mir fern, den Holocaust zu relativieren. Ich habe keinen direkten Vergleich gezogen. Ich habe eine – zugegebenermaßen – gewollt provokante Frage gestellt, die jeder Mensch so beantworten sollte, wie er es für richtig hält. Relativiere ich ein Verbrechen, wenn ich ein weiteres Verbrechen, das ich als genauso unrecht oder sogar noch unrechter empfinde, nenne? Meiner Meinung nach nicht. Es verändert nichts daran, wie man das erste Verbrechen bewertet.

Die daraufhin entflammte Empörung zeigt mir, dass zu viele offensichtlich nicht in der Lage sind, andere Meinungen zu tolerieren oder zu versuchen, sich in jemand anderes hineinzuversetzen. Offensichtlich sind viele der Meinung, dass nur ihr Wertesystem Gültigkeit besitzt und dieses erheblich von meinem abweicht – dabei habe ich nicht mal eins vorgegeben.

Man interpretiert natürlich in einen Tweet das, was man möchte. Es ist leichter, sich zu empören, als nachzudenken, ob man im Unrecht sein könnte und seine Sichtweisen zu erweitern oder zu verändern. Viele sind dabei anscheinend wesentlich emotionaler als ich es bin.

Ich kann im Tweet keine Volksverhetzung erkennen und Dank einer Rede Horst Seehofers vor Kurzem kenne ich den Paragraphen.

Da ich lange nicht der erste bin, der sich wie in meinem Tweet oder entsprechend ähnlich geäußert hat, gibt es eine Menge Präzedenzfälle. Mir ist nicht bekannt, dass jemals jemand wegen entsprechender Äußerungen verurteilt wurde. Mir sind jedoch eine Reihe an Fällen bekannt, wo die derartige Äußerungen gar nicht erst zur Anzeige gebracht wurden oder vor Gericht als zulässig anerkannt wurden.

Wird mir nicht vielmehr von Vielen das Recht auf freie Meinungsäußerung aberkannt, auf das Piraten doch so pochen?

Ich bitte von einer Anzeige abzusehen. Es würde nicht nur meine Zeit verschwenden.

Mir rechtes Gedankengut zu unterstellen, mich mit SS-Unterscharführern oder ähnlichem zu vergleichen ist noch abstruser. Wer mich privat kennt – es gibt einige Piraten, mit denen ich auch privat zu tun habe und mitunter auch Freundschaften pflege - kennt auch Menschen aus meinem Freundeskreis. Dazu gehören Menschen vieler verschiedener Herkünfte, unterschiedlicher Hautfarben, Religionen etc.

Für die, die es nicht wissen: Meine beste Freundin ist deutsch-griechische Jüdin, mein bester Freund venezolanischer Katholik. Beide wissen von der Hologate-Affäre.

Mir ein menschenverachtendes Denken zu unterstellen, finde ich gerade aus der Richtung der Fleischverzehrer – zumindest die, die Fleisch aus Massentierhaltung genießen - geradezu lachhaft. Ich wage die provokante These – jetzt ziehe ich tatsächlich einmal einen Vergleich - dass Fleischesser größere Menschenfeinde sind als ich. Schließlich wird zur Produktion von Fleisch eine enorme Menge an pflanzlichen Lebensmitteln benötigt, während laut offiziellen Zahlen mittlerweile mehr als eine Milliarde Menschen Hunger leidet. Jährlich sterben ca. 9 Millionen Menschen an Hunger. Es gibt Schätzungen, dass man 10 bis 11 Milliarden Menschen mit den heute zur Verfügung stehenden pflanzlichen Nahrungsmitteln ernähren könnte, wenn der fleischessende Teil der Weltbevölkerung seinen Fleischkonsum halbieren würde. Und ich werde als unmenschlich und menschenverachtend bezeichnet?

Ich könnte noch viele weitere Beispiele nennen, warum ich es für falsch halte, Tiere derart auszubeuten, aber das ist nicht der eigentliche Zweck dieses Schreibens.

Es gab nicht nur Empörung auf meinen Tweet. Einige schrieben mir, dass sie es gut finden, was ich sagen möchte - aber nicht, wie ich es geschrieben habe; einige sagen, dass das, was ich geschrieben habe gut und wichtig ist, aber dass ich es als Landesvorstand lieber nicht schreiben solle; wenige drohen; einige verbreiten Lügen oder unhaltbare Behauptungen, zum großen Teil über Leute, die auf mein Schreiben reagiert haben; wenige machen Witze; manche probieren zu schlichten; einige übertreiben und ziehen Vergleiche; einige meinen, ich sei einfach nur dumm; einer fordert meinen Rücktritt; einer fordert, dass ich auf gar keinen Fall zurücktrete.

Wer erwartet, dass ich mich von meiner Meinung distanziere, wird enttäuscht werden. Ich kann mich maximal von Wörtern distanzieren. Wer der Meinung ist, dass unpopuläre Dinge nicht gesagt werden dürfen, sollte sich überlegen, ob er weiß, was ein Pirat ist."

Sebastian Pochert 20:45, 27. Mai 2011 (CEST)

Aussage des Landesvorstands

Der Landesvorstand der Piratenpartei Deutschland, Landesverband Brandenburg, distanziert sich von den Aussagen des ehemaligen Beisitzers Sebastian Pochert, welche dieser in besagtem Twitter-Tweet machte, und von seiner heutigen Stellungnahme ausdrücklich.

Der Holocaust zur Zeit des dritten Reiches ist ein einmaliges Verbrechen in der Menschheitsgeschichte und daher sind gewollte oder ungewollte Vergleiche oder Relativierungen, aus welchen Gründen auch immer, völlig unangebracht und auf Schärfste abzulehnen.

Wir respektieren Sebastians Meinung aus Gründen, welcher jedes Leben als gleichwertig betrachtet. Dieser Standpunkt darf jedoch niemals dazu führen, dass die industrielle Vernichtung und das millionenfache Töten von Menschen als Vergleich oder durch andere Verbrechen relativiert werden dürfen.

Unterzeichner:

  • Sven Weller
  • Eik Wassberg
  • Oliver Huth
  • Clara Jongen
  • Markus Freitag
  • Holger Kipp

Weitere Anmerkungen einzelner Landesvorstandsmitglieder:

  • Markus: Zu Sebastians Erklärung: In meinen Augen hat Sebastian durch seine Erklärung seinen Standpunkt ausreichend erläutert. Ich verstehe, dass ihm tierisches Leben genau so am Herzen liegt wie menschliches und dass er als Veganer dahingegen seine Meinung offensiver vertritt als Fleischesser. Das gewählte Ausmaß seiner Meinungsäußerung ist zwar nicht angemessen, aber ich finde es insgesamt falsch seine Lebensweise und Einstellung prinzipiell abzulehnen nur weil wir nicht so leben. ~~Markus
  • Holger: Zu Sebastians Erklärung: Aus meiner Sicht hat Sebastian in seiner Stellungnahme deutlich gemacht, daß er keine Relativierung des Holocaust vornehmen und auch niemanden mit seinem Tweet beleidigen wollte. Im übrigen enthält die Stellungnahme seine eigene Meinung, die man zwar nicht teilen muß, aber die aus meiner Sicht durchaus nachvollziehbar ist. Gerade persönliche Meinungen zuzulassen gehört mit zu den wichtigen Punkten bei den Piraten, daher kann ich mich nicht ausdrücklich von seiner Stellungnahmen distanzieren, auch wenn ich zu einigen Dingen seine Meinung nicht teile.